„Apps auf Rezept“ : Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) – Weg in die Erstattung

SmartStep Consulting liefert in diesem Blogpost einen Überblick und Erfahrungsbericht über die "Apps auf Rezept" - E-Health als Zukunftsmodell im Gesundheitsbereich.

Mit der Veröffentlichung des Referentenentwurfs zur Digitale-Gesundheitsanwendungen- Verordnung (DiGAV) hat das Bundesgesundheitsministerium (BMG) im April 2020 den Startschuss für die sogenannten “Apps auf Rezept” gegeben.

1. Überblick: Digitale Gesundheitsanwendungen

Ermöglicht wurden die digitalen Gesundheitsanwendungen „auf Rezept“ durch das Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG), welches am 19.12.2019 in Kraft getreten ist. Für die Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung leitet sich hieraus erstmals ein Anspruch auf eine Versorgung (Erstattung einer Verordnung) durch eine digitale Gesundheitsanwendung (DiGA) ab. Ziel der Gesetzgebung ist es unter anderem einen Weg zu einer selbstbestimmten gesundheitsförderlichen Lebensführung des Patienten zu unterstützen. DiGAs unterstützen die Erkennung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten sowie die Erkennung, Behandlung, Linderung oder Kompensierung von Verletzungen oder Behinderungen. Basis für eine Zulassung als DiGA ist dabei, dass der medizinische Zweck als Hauptfunktion auf digitalen Technologien beruht.

Übersichtsgrafik zum aktuellen Stand der DiGA-Anträge in Deutschland (März 2021)

2. Abgrenzung - digitale Gesundheitsanwendungen

2.1 Wann ist eine App ein Medizinprodukt?

Die App Stores auf Smartphones und Tablets bieten eine Fülle an Anwendungen aus dem Bereich Sport, Wellness und Gesundheit. Hier ist die Abgrenzung zum Medizinprodukt nicht sofort offensichtlich. Entscheidend für die Einordnung ist die Zweckbestimmung der App, die auch über die Gebrauchsinformationen sowie durch Werbematerialien (z. B. Website, App-Store-Information) vermittelt wird. Anhaltspunkte, die auf ein Medizinprodukt hinweisen, sind beispielsweise die Entscheidungsunterstützung bei therapeutischen Maßnahmen, Berechnung von Medikamentendosierungen oder Überwachung eines Patienten und Datensammlung in Verbindung mit Therapiehinweisen.

2.2 Abgrenzung zur Hardware

Digitale Gesundheitsanwendungen sind auch in Kombination mit Hardware möglich. Hierbei ist aber zu beachten, dass die Hauptfunktion auf der digitalen Technologie beruhen muss, wenn man die DiGA über das DVG erstattet haben möchte. Die App sollte nicht nur als Anknüpfungspunkt für die Funktionen der Hardware genutzt werden. Die Beispiele aus dem Leitfaden des BfArM zu den DiGA’s zeigen sehr anschaulich:

Darstellung von Hardware, die im Zusammenhang mit DiGAs verwendet wird.
Umsetzungsmöglichkeit einer DiGA-App-Therapie für Patient mit gestörter Lungenfunktion

2.3 Abgrenzung zu Dienstleistungen

Dienstleistungen im Zusammenhang mit DiGA müssen differenziert betrachtet werden: Bei der Kombination von Dienstleistungen wie Beratung, Coaching oder privatärztlichen Leistungen im Zusammenhang mit DiGA verhält es sich ähnlich wie mit zusätzlicher Hardware: Im Mittelpunkt muss die digitale Technologie stehen.

Vertragsärztliche Leistungen, die beispielsweise der behandelnde Arzt erbringt, werden weiterhin von den gesetzlichen Krankenkassen im Rahmen der ärztlichen Vergütung bezahlt. Zu beachten sind diese gegebenenfalls aber beim Nachweis des positiven Versorgungseffekts, da der Versorgungseffekt klar der DiGA zuordbar sein muss. Generell kommen für vertragsärztliche Leistungen nur niedergelassene Ärzte oder Psychotherapeuten in Frage.

Auch hier haben wir exemplarisch ein Beispiel aus dem Leitfaden des BfArM zu den DiGA’s betrachtet:

Umsetzungsmöglichkeit einer DiGA-App-Therapie für Patient mit chronisch entzündlicher Darmerkrankung

Abschließend kann festgehalten werden, dass zusätzliche Funktionen und Leistungen keinen Einfluss auf die medizinische Zweckbestimmung einer DiGA haben sollten. Wichtig ist eine klare Abgrenzung, welche den Richtlinien des BfArM entsprechen sollte. Im Zweifelsfall ist hierfür auch die BfArM-Beratung in Anspruch zu nehmen – wir helfen gern – Die Kontaktdaten entnehmen Sie bitte der letzten Seite.

3. Anforderung an die DiGA

3.1 Definition einer DiGA

Grundlage für das erfolgreiche Antragsverfahren zur Listung einer DiGA im BfArM-Verzeichnis ist die Erfüllung der in Paragraph 3 bis 7 aus dem DiGAV beschriebenen Anforderungen hinsichtlich Sicherheit, Funktionstauglichkeit, Datenschutz, Informationssicherheit sowie Qualität (insbesondere Interoperabilität). Hierfür wird die Beantwortung der Fragebögen Anlage 1 und Anlage 2 der DIGAV verlangt. Nachfolgend wollen wir die 4 umfangreichsten Punkte kurz beschreiben, um Ihnen einen Überblick zu geben.

Übersichtsgrafik zur Definition einer Digitalen Gesundheitsanwendung (DiGA) hinsichtlich Medizinprodukt, Hauptfunktion, Zweckbestimmung und Funktionalitäten

3.2 Sicherheit und Funktionstauglichkeit

Nach SGB V müssen Inverkehrbringer von DiGAs die Produktsicherheit und Funktionstauglichkeit ihrer DiGA nachweisen. Hierfür wird maßgeblich das CE-Kennzeichen als Konformitätserklärung des Herstellers des Herstellers genutzt. Durch diese bestätigt der Hersteller über eine “benannte Stelle” wie z.B. den TÜV die Einhaltung der Qualitäts- und Sicherheitsanforderungen.

Da es sich bei der DiGA um ein Medizinprodukt handelt, muss hier vorab eine Zertifizierung stattfinden. Generell werden Medizinprodukte nach der Medizinprodukterichtlinie (MDD) und neue Produkte ab 26.05.2021 nur noch nach der Medizinprodukteverordnung (MDR) in die Klassen I, IIa, IIb und III unterteilt. Für die Klasse I ist das CE-Kennzeichen sowie eine EU-Konformitätserklärung gemäß Artikel 19 MDR erforderlich. In dieser erklären Sie die Konformität Ihrer Produkte. Da es hier auch Haftungsrisiken gibt, sollte Sie den Prozess gewissenhaft durchlaufen und ggf. externe Hilfe zurate ziehen.

Als Hersteller von DiGAs sollten Sie die Zertifizierung im Blick behalten. Nach MDR dürfte eine zu zertifizierende DiGA mindestens in die Klasse IIa MDR fallen, welche die Einschaltung einer benannten Stelle erfordert. Apps höherer Risikoklassen (IIB MDR und höher) können wiederum nicht eine DiGA-Listung anstreben.

Darstellung des zeitlichen Rahmens zum Inkrafttreten, Geltungsbeginn und Gültigkeit einer DiGA

3.3 Datenschutz bei DiGA

Der Datenschutz hat bei den DiGAs einen sehr hohen Stellenwert. In der DSGVO haben Patientendaten als sensible Daten ein sehr hohes Schutzniveau. Da DiGAs Patientendaten sammeln, sollten Sie als Entwickler und Hersteller einer DiGA die Datenschutzanforderungen kennen und ‚per Design‘ (=von Anfang an) sehr genau auf die korrekte Verarbeitung der Daten achten.

Übersichtsgrafik zu den Grundsätzen des Datenschutzes nach dem "Privacy by design"-Vorgehen.

Da die Vorgaben der Datenschutzanforderungen schon bei der Antragstellung erfüllt werden müssen, sollten Sie sich den Fragebogen in der Anlage 1 DiGAV sehr genau anschauen. Die Anlage 1 fragt die Sachverhalte detailliert ab und kann Ihnen als Leit- und Prüfkatalog dienen.

Exemplarisch sehen Sie hier Frage 37 der Anlage 1 DiGAV:

Darstellung des Fragebogens zur Prüfung der Erstattungsfähigkeit digitaler Gesundheitsanwendungen lt. DiGAV.

Durch die Aufhebung des Privacy-Shield Abkommens ist die Speicherung personenbezogener Daten und Nutzung von Tools und Anbietern in den USA derzeit sehr umstritten und kann im weiteren Antragsverfahren als Hürde auf Sie zukommen. Im Leitfaden zum Fast Track Verfahren für digitale Gesundheitsanwendungen wird das Thema thematisiert. Den Datenschutz nach DGSVO und weitergehende Anforderungen sollten Sie also zu Beginn der Programmierung Ihrer DiGA bereits berücksichtigen und fortlaufend im Blick behalten.

3.4 Informationssicherheit

Um die Gesundheitsdaten zu schützen, gibt es vielerlei Anforderungen an die Informationssicherheit. Hier steht Schutz der Vertraulichkeit, Integrität und Verfügbarkeit sämtlicher über eine DiGA verarbeiteten Daten im Mittelpunkt. Laut DiGAV gibt es hier die Unterscheidung zwischen den Basisanforderungen für alle digitalen Gesundheitsanwendungen und den Zusatzanforderungen für digitale Gesundheitsanwendungen mit sehr hohem Schutzbedarf. Grundlage hierfür bilden die in den BSI Standards 200-1, 200-2 und 200-3 beschriebenen Prozesse für ein Managementsystem der Informationssicherheit.

Ein Informationssicherheitsmanagementsystem (ISMS) bestimmt hierbei, mit welchen Instrumenten und Methoden die Leitungsebene die auf Informationssicherheit ausgerichteten Aufgaben und Aktivitäten nachvollziehbar plant, einsetzt, durchführt, überwacht und verbessert. Ein vollständiges ISMS ist nur für DiGAs gefordert, die nach dem 1.1.2022 die Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis beantragen. Sie können über das ISMS eine geforderte Grundlage der MDR-Zertifizierung abbilden und Ihr Medizinprodukt auch jetzt schon zukunftssicher ausgestalten.

3.5 Interoperabilität

Als Interoperabilität wird die Eigenschaft technischer Programme oder Systeme bezeichnet, mit anderen Systemen ohne Einschränkungen hinsichtlich Zugriffes oder Implementierung zusammenzuarbeiten. Dies wird für DiGAs in Zukunft immer wichtiger, damit eine nationale E-Health-Infrastruktur aufgebaut werden kann. Als anschauliches Beispiel hierfür wird die Verwendung der

Krankenversicherungsnummer (KVNR) anstelle einer eigens vergebenen Patienten-ID genannt. Als Entwickler und Hersteller sollten Sie sich auf jeden Fall mit den Standards von Vesta und MIOs auseinandersetzen sowie die näheren Erläuterungen im Leitfaden sowie der Fragen in der Anlage 2 DIGAV prüfen.

4. Positive Versorgungseffekte (pVE) einer DiGA nachweisen

Generell kann man den positiven Versorgungseffekt einer DiGA in zwei Teilbereiche gliedern: Einerseits kann eine DiGA für einen medizinischen Nutzen (mN) sorgen oder andererseits patientenrelevante Struktur- und Verfahrensverbesserungen (pSVV) in der Versorgung erzeugen. Da ein Hersteller bei der Antragsstellung einen oder mehrere dieser Versorgungseffekte nachweisen muss, ist dieses Thema besonders wichtig. 

Der positive Versorgungseffekt muss für eine bestimmte Patientengruppe angegeben werden, welche durch die internationale Klassifikation der Krankheiten (aktuell ICD-10) als drei- oder vierstellige Nummer charakterisiert wird. Der Nutzennachweis der DiGA wird nach Antragstellung nur für diese Patientengruppe geführt und ist nach erfolgreicher Listung auch nur für diese verordnungs-/erstattungsfähig. Im Folgenden finden Sie eine Übersicht zu den Versorgungseffekten:

Darstellung zur Übersicht der Versorgungseffekte in Bezug auf Struktur- und Verfahrensverbesserungen und dem medizinischen Nutzen einer DiGA

4.1 Nachweis positiver Versorgungseffekte für DiGAs

Ein Nachweis von positiven Versorgungseffekten kann sich in verschiedene Schritte aufteilen. Begonnen wird mit einer Vorstudie. Hierin zeigen Sie dem BfArM auf, welche Daten einen positiven Versorgungseffekt für Ihre DiGA rechtfertigen. Ob diese Daten für die Vorstudie ausreichen, können Sie in einem Beratungsgespräch mit dem BfArM meist kurzfristig klären.
Gern bereiten wir mit Ihnen dieses Beratungsgespräch vor, begleiten Sie beim Gespräch und können Sie bei der Erstellung der erforderlichen Beratungsunterlagen unterstützen.

Für die Antragstellung ist neben dieser Vorstudie ein Evaluationskonzept zu erstellen. Dieses besteht aus einem Studienprotokoll (Prüfplan) sowie einen statistischen Analyseplan (SAP). Kurzgesagt wird also die Studie beschrieben, mit welcher der angegebene positive Versorgungseffekt nachgewiesen wird. Sofern der Antragstellung zur vorläufigen Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis stattgegeben wird, beginnt die 12-monatige Erprobung, in der die im Evaluationskonzept geplante Studie durchgeführt wird. Nach erfolgreicher Erprobung ist eine anschließende Veröffentlichung der Studienergebnisse verpflichtend.

Darstellung der Timeline für einen DiGA-Aufnahmeantrag.

Das Thema Nachweis positiver Versorgungseffekte inkl. Studiendesign ist immer individuell für jede DiGA einzeln zu prüfen.

5. Weg in die Erstattung

Basis für die erfolgreiche Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis (zur Erprobung oder endgültig) ist die gewissenhafte Erfüllung der umfangreichen Anforderungen. Wir empfehlen immer, die Beratung beim BfArM in Anspruch zu nehmen („Der Köder muss dem Fisch schmecken“). Sollte die Antragstellung nicht erfolgreich sein, wird Ihre DiGA für ein Jahr gesperrt, bevor ein erneuter Antrag auf Listung ermöglicht wird. Da es sich hier um eine neue Gesetzesumsetzung handelt, werden viele Richtlinien und Hinweise regelmäßig überarbeitet. Sie sollten also dementsprechend auf die Aktualisierung der bereitgestellten Unterlagen durch das BfArM achten.

Die nachfolgende Grafik veranschaulicht den Prozess einer DiGA in die Erstattung:

5.1 Antragskosten im Zusammenhang mit der Erstellung einer DiGA

Abschließend wollen wir noch einen Überblick zu den möglichen Kosten für die Antragstellung und Erfüllung der Anforderungen geben. Dies ist nur ein grober Überblick, der maßgeblich von der jeweiligen DiGA und deren Versorgungseffekten abhängt. Folgende Kosten sollten Sie in Ihre Kalkulation einbeziehen:

  • Vorläufige Aufnahme in das Verzeichnis für digitale Gesundheitsanwendungen zur Erprobung – DiGAV 3.000 – 9.000 Euro
  • Entscheidung über die dauerhafte Aufnahme in das Verzeichnis nach Abschluss der Erprobung – gem. DiGAV 1.500 – 6.600 Euro
  • Beratungen mit dem BfArM zwischen 250 und 5.000 EUR (geringfügige allgemeine mündliche, schriftliche oder elektronische Auskünfte sind hiervon ausgenommen)

Sie haben Fragen?

Der DiGA-Dschungel ist oftmals nicht ganz so einfach zu durchblicken. Wir von SmartStep Consulting unterstützen Sie als Spezialist im Healthcare Strategy & Market Access Consulting bei der Erfüllung der qualitativen Anforderungen, Ermittlung und Eingrenzung der positiven Versorgungseffekte sowie Ihrem Weg in die Erstattung durch die gesetzlichen Krankenversicherungen (Krankenkassen). Jahrelange Erfahrungen aus vielfältigen Verhandlungen mit Krankenkassen, insbesondere im Rahmen von Erstattungsverhandlungen für Arzneimittel, welche von vielen als Blaupause für die Regelungen der DiGA Erstattung verstanden werden, können für Sie wertvoll sein bei Ihren Preis- und Erstattungsverhandlungen.

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