Die Zahl „15“ im deutschen HTA-System – die „fixe Schwelle“ als fixe Lösung?

Dieser Blogpost bietet einen kurzen Überblick zum aktuellen Diskurs bezüglich der Darstellung klinisch relevanter Ergebnisse in der frühen Nutzenbewertung.

Hintergrund

Im Rahmen der frühen Nutzenbewertung von Arzneimitteln nach §35a SGB V ist die klinische Relevanz von Behandlungseffekten nachzuweisen – sprich: ab wann handelt es sich um eine für den Patienten spürbare Veränderung? Dies soll die Interpretierbarkeit von Ergebnissen und Ableitung von Therapieempfehlungen erleichtern.

In der Literatur existieren unterschiedliche Konzepte zur Unterscheidung von Patientinnen und Patienten mit und ohne einen minimalen, klinisch relevanten Behandlungseffekt (auch: Minimal Clinically Important Difference, MCID) auf einer Punktskala für einen bestimmten Endpunkt (z. B. Verbesserung der Lebensqualität gemessen anhand des SF‑36-Fragebogens).

Vor dem Hintergrund einer beobachteten Variabilität und resultierenden Spannweite berichteter MCID‑Schwellenwerte – z. T. für dasselbe Messinstrument – etablierte das IQWiG mit der Einführung des Methodenpapiers V6.0 und auf der Basis einer Analyse der verfügbaren Literatur einen neuen Ansatz zum Nachweis der klinischen Relevanz in der frühen Nutzenbewertung (siehe Abbildung). Mit Beschluss vom 16. Dezember 2021 zur Änderung der Verfahrensordnung fand dieser Einzug in die Modulvorlage in der Anlage II zum 5. Kapitel und trat am 23. März 2022 in Kraft.

Abbildung zum Nachweis der klinischen Relevanz in der frühen Nutzenbewertung
Abbildung: Nachweis der klinischen Relevanz in der frühen Nutzenbewertung

Das IQWiG definiert einen regelhaften Schwellenwert (mindestens 15 % der Skalenspannweite des eingesetzten Messinstruments bzw. genau 15 % der Skalenspannweite im Rahmen einer post hoc definierten Responderanalyse) als bevorzugte Alternative zur Darstellung standardisierter Mittelwertdifferenzen, um eine für Patienten spürbare Veränderung hinreichend sicher abzubilden ‑ jene für eine spezifische Indikation validierten und ggf. bereits in der klinischen Praxis etablierten Schwellenwerte, die diese Kriterien nicht erfüllen, werden dagegen regelhaft nicht betrachtet.

One-Size-Fits-All?

Experten aus Wissenschaft und Praxis und Vertreter der pharmazeutischen Industrie bewerten diesen „One-Size-Fits-All“-Ansatz kritisch – und dafür gibt es gute Gründe.

Ein regelhafter Schwellenwert zum Nachweis klinischer Relevanz steht nicht nur im Widerspruch zum komplexen Zusammenhang von MCID und zahlreichen Kontextfaktoren wie den Eigenschaften des Patientenkollektivs, der Dauer des Beobachtungszeitraums, Richtung des Effekts und untersuchten Nutzendimension, sondern erschwert darüber hinaus die Einordnung von Ergebnissen in den Kontext früherer Nutzenbewertungsverfahren. Ein Report der ISPOR Clinical Outcome Assessment Special Interest Group stellt fest, dass die sog. 15 %‑Schwelle häufig um ein vielfaches größer als ihr auf Basis klinischer Daten ermitteltes Pendant ist (Is IQWiG’s 15% Threshold Universally Applicable in Assessing the Clinical Relevance of Patient-Reported Outcomes Changes? An ISPOR Special Interest Group Report – Value in Health (valueinhealthjournal.com)). Die Autorinnen und Autoren schlussfolgern, dass die neue Regelung ‑ im Vergleich zu früheren HTA‑Entscheidungen – den Fokus nicht mehr auf den individuellen Patienten richtet und den patientenzentrierten durch einen technischen Ansatz ersetzt.

Be prepared - make your next step smart!

Im Rahmen der kommenden in das deutsche System zu integrierenden europäischen Bewertung (EU‑HTA) spielt die fixe 15 %‑Schwelle aktuell keine Rolle. Um die Interpretierbarkeit der Ergebnisse sicherzustellen, fordert das EUnetHTA 21 Individual Practical Guideline Document D4.4 – Outcomes (EUnetHTA-21-D4.4-practical-guideline-on-Endpoints-v1.0.pdf) vielmehr die Einteilung von Patienten, die einen spürbaren Behandlungseffekt aufweisen oder nicht, im Rahmen einer Responderanalyse und unter Verwendung eines begründeten Schwellenwerts.

SmartStep verfolgt und begleitet die aktuellen Entwicklungen nationaler und internationaler Methodenempfehlungen und bietet seinen Kunden eine zielorientierte und strategische Beratung im Umgang mit einer methodenkonformen Auswertung und Darstellung klinischer Ergebnisse im Rahmen des AMNOG und vor dem Hintergrund des bevorstehenden EU‑HTA.

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